Beschreibung
Die Rubriken
13 bis 15 zeigen die Fülle der Bildmotive, die während des Ersten Weltkrieges produziert und meist als Feldpostkarten in Umlauf gebracht wurden.
Bis heute gilt der Erste Weltkrieg als entscheidende Epochenzäsur. Er markiert den Untergang mitteleuropäischer Monarchien ebenso, wie den Aufstieg großer kommunistischer und faschistischer Massenbewegungen in Europa. Der Sieg des Bolschewismus in Russland, der Aufstieg eines faschistischen Regimes in Italien, die Machtübernahme der NSDAP in Deutschland und die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges führen ursächlich auf den Ersten Weltkrieg zurück. An seinem Ende war das historische Europa erledigt, und neue Weltmächte wie z. B. die USA und die Sowjetunion, bestimmten künftig die Weltpolitik. In eher entlegenen Teilen Europas, insbesondere auf dem Balkan, legte der Erste Weltkrieg den Keim für Konflikte, die bis ins 21. Jahrhundert fortwirkten.
Auch in seiner Brutalität war der Erste Weltkrieg eine Epochenzäsur. Er gilt als erster industriell geführter Massenvernichtungskrieg, in dem alle volkswirtschaftliche Kraft für die Kriegsproduktion aufgewendet wurde. Materialschlachten ungeahnten Ausmaßes waren die Folge und wahre „Blutmühlen“ wie die von Verdun und an der Somme, bei denen sich Millionenheere in anhaltenden Stellungskriegen gegenüber standen.
(Lit: Der Tod als Maschinist. Der industrialisierte Krieg 1914-1918. Katalog der Ausstellung des Museums Industriekultur Osnabrück, hg. v. Rolf Spilker und Bernd Ulrich, Bramsche 1998)
Die Angehörigen an der „Heimatfront“ hielten Kontakt mit den kämpfenden Soldaten über die Feldpost. Nach Millionen zählte der tägliche Postversand, bei dem Kurzmitteilungen auf Bildpostkarten zwischen Front und Heimat ausgetauscht wurden. Die abgebildeten Motive vermittelten Impressionen von Front und Heimatfront und beeinflussten somit auf ganz eigene Weise die Wahrnehmung des Krieges und der Kriegsgesellschaft.
Insbesondere für den ländlichen Raum kann man sagen, dass das Bild vom Krieg zwischen
1914 und 1918 nicht unwesentlich von Bildpostkarten geprägt wurde. Zu den -selbstverständlich zensierten – Abbildungen gab es kaum Alternativen. Regionale Tageszeitungen brachten nur selten Fotografien, und der Einzug des Kinos kam auf dem Land erst viel später.
Insofern war der Erste Weltkrieg auch im Hinblick auf die mediale Kriegsführung ein wichtiges Vorbild für Kriege der Gegenwart. Mit der Herrschaft über das Kriegsbild ist auch die Deutungshoheit über den Krieg schlechthin verbunden. Bildpostkarten verhalfen der Bevölkerung dazu, sich Vorstellungen von den Kriegsvorgängen sowie von Feinden und Freunden zu machen. Sie sollten Wirkung erzeugen, und offensichtlich wurde ihnen eine hohe Authentizität zugesprochen. Die Motive der Feldpost waren jedoch nur in seltenen Fällen Abbilder des wirklichen Geschehens, sondern es handelt sich meist um gestaltete Collagen oder Reprints von Gemälden. Die Abbildungen waren also fast durchweg inszenierter Natur, so wie die Fernsehbilder unserer Tage auch.
So sind auch die hier vorliegenden Bildpostkarten aus der Sicht der Kartengestalter und in der Regel unter Aufsicht der allgegenwärtigen Zensur entstanden und damit als Quellen zur Geschichte durchaus widersprüchlich.
Fraglos sprechen sie die Betrachter unmittelbar an und zeigen Personen und Situationen, deren Eindruck man sich vielfach kaum entziehen kann. Aber sie zeigen lediglich die Welt, wie sie gesehen werden soll. Damit gewinnen die Bildpostkarten ihren Erkenntniswert vor allem als Quellen zur Wahrnehmungsgeschichte des Ersten Weltkrieges und zu den Techniken politischer Propaganda.
(Richard Sautmann)
13. Kriegsbeginn und Propaganda
Kriegsbeginn ist der 4. August 1914. Für Deutschlands Ehr (
13.1) lassen sich viele Freiwillige zum Dienst mit der Waffe verpflichten. Kaiser und Kaiserin wenden sich mit Aufrufen und Parolen an das Volk, und der schneidige Kronprinz ruft zum Schlagabtausch auf: Immer feste druff.
Österreich, vertreten durch den greisen Kaiser Franz Josef I. (Gott erhalte Franz den Kaiser...), wird als Bundesgenosse (
13.2) vorgeführt und soll im Verein mit weiteren Verbündeten Siegesgewißheit verbreiten. Aus den Wolken schaut Friedrich der Große, begleitet von Bismarck, dem alten Kaiser Wilhelm und zwei Generälen, wohlwollend auf eine heftig tobende Seeschlacht.
Die Propagandamaschinerie (
13.3) läuft auf vollen Touren unter den Farben schwarz-weiß-rot. Frauen versichern, sie seien zu uneingeschränkten Opfern bereit,Walküren verkünden vom stürmischem Himmel herab, das Leben sei der Güter höchstes nicht, und Germania steigt von ihrem Sockel, um Deutschlands Helden anzufeuern. Auch nach dem Krieg setzen Wohlfahrtskarten zum Besten der Hinterbliebenen die militärische Propaganda fort.
An Vielseitigkeit sind die Propaganda-Motive kaum zu überbieten. Eine besonders umfangreiche Gruppe (
13.3.1) bezieht Kinder ein, die betend, Briefe schreibend und oft in Uniform gezeigt werden. Ein ernst blickendes kleines Mädchen beteuert die deutsche Unschuld am Weltkrieg. Kinderpärchen (vgl.
7.2) - der Junge als Krieger kostümiert - verteilen aufmunternde Parolen. Kleine Jungen spielen Krieg oder posieren als Majestäts jüngster Rekrut, und eine altkluge Kleine kommentiert, über den Globus gelehnt, einzelne Schritte des Balkanzugs. Selbstverständlich kümmern sich deutsche Soldaten im Feindesland aufopfernd um hungrige Kinder.
Im Krieg hat das Singen Hochkonjunktur (
13.4). Per Feldpost gehen Soldatenlieder hin und her und erzählen von deutscher Treue und Sieg (Gloria Victoria) oder von Heimweh (
Steh ich in finstrer Mitternacht). Auch Kunstlieder und tradierte Volkslieder ohne direkten inhaltlichen Bezug auf das Soldatenleben oder den Krieg (
13.4.1) können durch Abbildungen Uniformierter kriegsgerecht umfunktioniert werden (
Sah ein Knab ein Röslein stehn).
Zur Kategorie hymnischer Nationallieder (
13.4.2) zählen in erster Linie Deutschland, Deutschland über alles, Heil Dir im Siegerkranz und die Wacht am Rhein (
2.2.2.3). Andere Karten sind derart überladen mit nationalen Symbolen, daß sie schon der Intention ihrer Illustrationen wegen in die Kategorie der Hymnen fallen (Stolz weht die Flagge schwarz weiß rot).
Die Gruppe Humor (
13.5) zeigt Witzkarten, grimassierende Gesichter oder Unbilden des Soldatenlebens in übertriebener Form. Auf diese Weise läßt sich der Ernst der Lage übertünchen und wenigstens für einen kurzen Augenblick gute Laune verbreiten.
(Sabine Giesbrecht)
[vgl. Giesbrecht, Sabine: Musik und Propaganda - Der Erste Weltkrieg im Spiegel deutscher Bildpostkarten. Osnabrück: Electronic Publishing Osnabrück, 2014. http://www.epos.uos.de/music/templates/buch.php?id=107]