Kategorien Prof. Dr. Sabine Giesbrecht ➔ 15. Heimat und Front 1914-1918 ➔ 15.4 Zu Hause ➔ 15.4.1 Brynolf Wennerberg


Beschreibung


Der Maler und Grafiker Brynolf Wennerberg wurde 1866 im Stockholmer Stadtteil Djurgården, geboren und entstammte einer wohlhabenden Familie, die hohes gesellschaftliches Renommee besaß. Er studierte 1885/86 an der Kunstgewerbeschule in Stockholm, bevor er in den beiden folgenden Jahren Meisterschüler des norwegischen Freilichtmalers Severin Kroyer (1851-1909) in Kopenhagen wurde. Dessen impressionistische Malweise prägte Wennerbergs Stil in hohem Maße. Daneben waren die bildlichen Darstellungen von weiblichen Akten des schwedischen Malers und Bildhauers Anders Leonard Zorn (1860-1920) eine wichtige Einflussquelle in der Frühphase. Wennerberg lebte zunächst in Leipzig, verbrachte einige inspirierende Jahre in Paris, dann ein halbes Jahr in London, bevor er sich um etwa 1900 zunächst in Fürstenfeldbruck und anschließend in München niederließ. Er gestaltete verschiedene gebrauchsgraphische Arbeiten für die Zeitschriften »Jugend«, »Meggendorfer Blaetter« und ab 1909 für das Satiremagazin »Simplizissimus«. 1912 erlangte er die deutsche Staatsbürgerschaft, zog aber in die benachbarte Schweiz. Erst nach Kriegsausbruch 1914 verließ er sie wieder fluchtartig und bezog schließlich 1915 in Bad Aibling die Villa Mina am Kurpark und mietete sich das ehemalige Atelier des deutschen Realisten Wilhelm Leibl (1844-1900) in der Hofmühle.
Im gleichen Jahr erschien die erste Serie mit insgesamt 24 von Wennerberg entworfenen Kriegspostkarten im Albert Langen Verlag in München. Daneben gibt es 18 Karten aus den Reihen »Wennerberg-Kriegspostkarten der Lustigen Blätter« sowie »Wennerberg-Karten der Lustigen Blätter« (Serie VII), von denen zehn Exemplare vorliegen (Stand Oktober 2011). Eine weitere Bildpostkarte ist der Reihe »Wohlfahrts-Ausschuß der Kaiserlichen Haupt- und Residenzstadt München« zugeordnet (15_4_1-027mm). Zusätzlich sind hier sieben Karten zu sehen, die keiner Serie zugeteilt werden können (15_4_1-027r bis -030).

Die Illustrationen der Kriegspostkarten zeigen ausschließlich verschiedene Szenen aus dem Leben der Soldaten und ihrer Frauen bzw. Kinder. Ein Teil der Motive widmet sich der Abreise. Die Frauen nehmen Abschied von ihren in den Krieg ziehenden Männern (15_4_1-001), reichen ihnen freudig während des Ausmarsches Leckereien (15_4_1-006) oder auf der Durchfahrt einige Erfrischungen (15_4_1-002). Ein letzter Kuss (15_4_1-015) symbolisiert die enge Verbundenheit mit den Daheimgebliebenen. Die Frauen schmücken die Pickelhaube mit Blumen (15_4_1-007) oder winken dem abfahrendem Schiff noch lange hinterher (15_4_1-014). 
Die kämpfenden Soldaten können sich sicher sein, dass ihre Frauen ungeduldig auf ihre Feldpost warten (15_4_1-005), ihnen regelmäßig Pakete an die Front senden (15_4_1-012) und die öffentlichen Siegesdepeschen aufgeregt verfolgen (15_4_1-008, 15_4_1-009). Ein besonderer Höhepunkt des Soldatenlebens ist der Heimaturlaub, in dem der Frontkämpfer entweder traute Zweisamkeit genießen (15_4_1-004) oder sich in der Gesellschaft von mehreren attraktiven Damen entspannen kann (15_4_1-010, 15_4_1-010m).

Wennerbergs Motive konzentrieren sich ausschließlich auf Geschehnisse an der „Heimatfront“. Die „Heimatfront“ ist in Abgrenzung zur „Kriegsfront“ kein Schauplatz militärischer Kampfhandlungen, stattdessen werden dort alle wirtschaftlichen und sozialen Ressourcen der Zivilbevölkerung für den Kriegsverlauf mobilisiert (Zum Begriff der „Heimatfront“ siehe KRUMEICH 1997). Dies äußert sich beispielsweise in den von Wennerberg skizzierten Formen der Solidarität und Hilfsbereitschaft wie etwa der „Liebesgabe“ für die Frontsoldaten (15_4_1-012).
Die Kriegspostkarten vermitteln dem Betrachter ein Gefühl von Optimismus und teils schwärmerischen Hochgefühlen. Die dargestellte Zivilbevölkerung ist heiter gestimmt und zeichnet sich durch eine hohe Moral sowie Loyalität gegenüber den Frontsoldaten aus. Der Krieg erscheint als fernes, kaum greifbares und nicht gefährliches Ausflugsziel, von dem der Mann immer wieder relativ unbeschadet heimkommt. Das Bild des Soldaten wird vielfach durch den Typus des gut aussehenden sowie untadeligen Edelmannes und Offiziers (z.B. 15_4_1-016, 15_4_1-016m) geprägt.
Wennerberg entwickelt in den Kartenserien einen eigenen Frauentypus. Seine Frauen lächeln fast ausnahmslos. Sie sind langbeinig und schön, adrett und vornehm bürgerlich gekleidet, erscheinen gleichermaßen unschuldig wie charmant-verführerisch und präsentieren ein für jene Zeit modernes Frauenbild. Die Rolle der Frau ist aktiv, denn sie nimmt am politischen und sozialen Geschehen teil. Die weiblichen Bewegungen und Gesten wirken selbstbewusst und zugleich leger (15_4_1-018). Der Künstler orientiert sich an den großen Plakatkünstlern des Jugendstils wie Jules Chéret (1836-1932), Eugène Grasset (1845-1917) oder Alfons Mucha (1860-1939), welche einen spezifischen Typus des Weiblichen entwickelten und als künstlerisches Markenzeichen verwendeten. 

Die Serien erwies sich als derart erfolgreich, dass ein Teil der Karten bei Albert Langen in Form des Kriegsbilder-Albums »In der Heimat, in der Heimat ... « veröffentlicht wurde. Neben den bereits skizzierten Motiven wie beispielsweise dem unbeirrten und jeglichem Winterwetter trotzenden Gang zum Postamt, um die Pakete „für ihn“ (15_4_1-021m) aufzugeben, wird in der Serie der »Lustigen Blätter« auch der Nachwuchs einbezogen (15_4_1-019) und halbironisch in die militärische Hierarchie eingegliedert (15_4_1-020). Wennerberg präsentiert seine hübschen Frauen in lockerer Pose als „Stolz der Firma“ (15_4_1-020m) oder lässt sie ganz in patriotischen Diensten Arbeiten am Denkmal eines monumentalen Eisernen Kreuzes ausführen (15_4_1-021). 

Wennerberg prägte einen einzigartigen Illustrationsstil. Der immer wieder präsente Frauentypus wird von ihm auch in der Nachkriegszeit in der Werbung mit viel Erfolg etabliert. Die dargestellten Personen und Accessoires sind detailreich und naturalistisch ausgearbeitet, während die Landschaft unbestimmt ausformuliert ist und vor allem als Platzhalter fungiert. Sie ist keiner erkennbaren geographischen Lokalität zugeordnet und dient als Bühne für die Interaktion der Personen. Landschaften und Hintergründe zeigen in der technischen Ausführung Eigenschaften luftig-leichter Aquarelle mit ineinander fließenden Farbverläufen und verwischten Umrisslinien (z.B. 15_4_1-011). Wennerbergs Motive zeichnen sich durch eine zurückhaltende Kolorierung aus. Auffällig sind die in verschiedenen Nuancen und Abstufungen ausgeführten Gruppen von zumeist drei bis vier Farbtönen, welche ein Bild beherrschen (z.B. grün, weiß-beige, braun in 15_4_1-022 oder schwarz, blau, rosa in 15_4_1-016m) Der Künstler bleibt seiner Stilistik in allen Illustrationen treu. 
Nach dem Ersten Weltkrieg behauptet sich Wennerberg dauerhaft als populärer Grafiker, der es vor allem durch zahlreiche Werbeaufträge von großen deutschen Firmen wie 4711, Stollwerck, Bahlsen und Henkel zu ansehnlichem Wohlstand bringt. Auch die jährlichen Kunst-Ausstellungen der Münchner Künstlergenossenschaft präsentieren seine Werke regelmäßig seit Ende der 20er Jahre. Der Künstler starb 84jährig im Jahr 1950.

(Edin Mujkanović)



Literatur:

KRUMEICH, Gerd: Kriegsfront – Heimatfront. In: Hans-Peter Ullmann (Hg.): Kriegserfahrungen. Studien zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte des Ersten Weltkrieges, (= Schriften der Bibliothek für Zeitgeschichte; N.F. 5), Essen: Klartext, 1997, S. 12-19.

WENNERBERG, Brynolf: Wennerberg-Album. 20 farbige Kunstblätter nach Originalbildern. Berlin: Eysler, 1921.

Internetquellen:

http://artroots.com/art6/brynolfwennerbergbio.htm (Stand: 20. Dezember 2011)

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