3. Straße und Haus - Frau und Mann
Der Klang der Straße ist zu Beginn des 20. Jahrhunderts geprägt von Aufbruch und Veränderung - auch im Verhältnis der Geschlechter. Während die nach außen gerichtete Progressivität als Lebens- und Aufgabenbereich der Männer angesehen wird, ist die innere Konstanz und Sicherheit Lebens- und Aufgabenbereich der Frau. Sie ist für Familie, Heim und Repräsentation der Familie (und damit auch des männlichen Familienoberhaupts) im privaten Bereich verantwortlich. Gleichzeitig bleiben Fremd- und Selbstverständnis der Frauen nicht unbeeinflusst von den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen zu Anfang des 20. Jahrhunderts: Frauen erschließen sich zunehmend den ursprünglich männlich geprägten Lebensraum 'Straße'. Auch diese Entwicklung erkennt man auf den Postkarten.
Die klare gesellschaftliche Distinktion zwischen Männern und Frauen, zwischen Draußen und Drinnen steht stets auch in Verbindung mit Musik und Klang: Das 'Ständchen am Fenster', das Eindringen des männlichen 'Draußen' von der Straße in den weiblichen 'Innenraum', die öffentliche Präsenz von Männern und die Nicht-Präsenz von Frauen äußern sich auch in Einstellungen zum Musizieren von Männern und Frauen auf der Straße.
Beim Betrachten der Karten, die ein klassisches Rollenbild präsentieren, erscheint die Straße sowohl im Zusammenhang mit Trennung als auch mit Begegnung der Geschlechter. 'Trennungskarten' gibt es vor allem da, wo es einen Kontrast zwischen einem 'Drinnen' und einem 'Draußen' als einer 'weiblichen' und einer 'männlichen' Sphäre gibt. Auf manchen Karten steht das 'Abgeschlossensein' der Frau von der Außenwelt im Vordergrund. Hier spielt das Motiv der Sehnsucht nach dem 'Draußen' eine maßgebliche Rolle. Eine andere Gewichtung weisen die Abschiedsszenen und Fensterszenen aus der Außenperspektive auf: Hier geht es mindestens genauso sehr wie um das 'Drinnensein' der Frau auch um das 'Draußensein' des Mannes, der sich auf den Weg macht. Gleichzeitig zur offensichtlichen Trennung ist das Fenster aber auch Ort einer sehnsuchtsvollen Begegnung, an dem Annäherungen und ein Werben um die Frau mit einer ensprechenden Distanz realisierbar werden.
Noch deutlicher wird die Straße als Ort der Begegnung durch öffentliche Plätze: Abbildungen von Brunnen und Tanzplätzen sind hier zu nennen, aber auch die Karten, die die Wandervögel zu Beginn des 20. Jahrhunderts illustrieren.
Schließlich erscheint die Straße auch als ein Ort des Statuswechsels der Frau - genau dann, wenn das weibliche Geschlecht in Verbindung mit Straßenmusik gebracht wird: Der soziale Status der auf der Straße musizierenden Frauen ist auf den Karten erkennbar niedriger als der Status der Frauen, die in häuslichen Kontexten auf den Karten zu sehen sind. Das 'unweibliche' Element der Straßenmusik bzw. die Anrüchigkeit einer solchen Berufsausübung für Frauen wird durch Karikaturen noch verstärkt. Eine öffentlich auf der Straße musizierende Frau erniedrigt sich nicht nur, sie macht sich auch zum Gegenstand des Spotts.
Weitere Abteilungen der Ausstellung
1. Der Klang sozialer Funktionen 2. Klänge der Sehnsucht 3. Straße und Haus - Frau und Mann
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