Beschreibung
»Die Lustige Witwe«, uraufgeführt am 30. Dezember 1905 im Theater an der Wien, war die erste Operette, die einen Welterfolg von bisher unbekanntem Ausmaß erlebte. Ihr Schöpfer war
Franz Lehár (1870–1948), einer der bedeutendsten Vertreter der Operette im 20. Jahrhundert. Geboren in der k.k. Monarchie (Komorn/Österreich-Ungarn), studierte Lehár in Prag und lebte ab 1899 in Wien. Dem Welterfolg der »Lustigen Witwe« schlossen sich u. a. »Der Graf von Luxemburg« (1909;
2_3_2-030 bis
-034), »Der Zarewitsch« (1927) und »Das Land des Lächelns« (1929) an. Lehár brachte in den klassischen Operettenstil Elemente der zeitgenössischen Unterhaltungs- und Volksmusik ein, viele seiner Melodien wurden zu Schlagern. Zusammen mit Emmerich Kálmán gilt er als Begründer der sogenannten »Silbernen Operettenära«.
Das Libretto der »Die Lustigen Witwe« schrieben
Victor Léon und
Leo Stein, in Anlehnung an Henri Meilhacs Prosaschwank »L’Attaché d’imbassade«. Aktuell war das Sujet: Eine selbstbewusste und emanzipierte Frau setzt sich in der Männerwelt durch. Die schwerreiche Witwe Hanna Glawari ist eine moderne Frau, sie ist finanziell und gesellschaftlich unabhängig und wird von Männern umschwärmt. Auf einem Gesandtschaftsball in Paris trifft sie ihre Jugendliebe wieder, den Grafen Danilo, den das damals noch arme Bauernmädchen aus Standesgründen nicht heiraten durfte. Auch Danilos Liebe zu Hanna entflammt erneut, er ist jedoch zu stolz, ihr seine Liebe zu gestehen. Berühmt ist der Walzer, in dem der erste Danilo-Darsteller seine Hanna am Hals fasste und herumwirbelte (so auch in späteren Inszenierungen:
2_3_2_1-016). Die Tanzschritte werden hier zum Dialog von zwei Individuen, die sich mit Worten nicht mehr verständigen können. Auch einige ihrer Lieder, wie zum Beispiel Danilos »Ballade von den Königskindern« (
2_3_2_1-010), sind verschlüsselte Botschaften. Erst als Hanna vorgibt, ohne Geld zu sein, können die beiden zueinander finden und sich ihre Liebe auch mit Worten gestehen: »Lippen schweigen, 's flüstern Geigen, Hab mich lieb« (
2_3_2_1-011,
-016).
Einige Nummern der Operette wurden zu Schlagern, so die Arie des dandyhaften Danilo, in der er von seinen Besuchen bei den Grisetten im »Maxim« berichtet (
2_3_2_1-009;
2_3_2_1-024ma bis
-024mf) oder das Ensemble »Das Studium der Weiber ist schwer«. Auch der Walzer wurde schon bei der Premiere dreimal zur Wiederholung verlangt und ging später um die ganze Welt. Das Lied »
Es lebt' eine Vilja, ein Waldmägdelein« (
2_3_2_1-018,
-020,
-021,
-023), das Hanna im Rahmen eines Balkanfestes in ihrem Garten singt, wurde bis 1909 dreimillionenmal verkauft. Die im südslawischen Volkston vorgebrachte grausame Geschichte der dalmatinischen Sagengestalt, die den Jägersmann in ihr felsiges Haus zieht, wurde zum Schlager, der vielfach auch ohne Bezug zur »Lustigen Witwe« auf den Karten abgebildet wurde (
2_3_2-156 bis
-157m).
Neben den beiden Hauptdarstellern gibt es noch ein zweites Paar, das aber zu keinem glücklichen Ende findet: Camille de Rostillon umwirbt Valencienne, die jedoch mit dem Botschafter des fiktiven Balkanstaates Pontevedro (in Anlehnung an Montenegro) verheiratet ist. Die beiden gestehen sich ihre Liebe und Camille gelingt es auch, die geliebte Frau zu einem Stelldichein im Pavillon zu überreden, aber letztendlich bleibt Valencienne doch ihrem Ehemann treu (
2_3_2_1-001 bis
-006,
2_3_2_1-022).
»Die Lustigen Witwe« erreichte nach der Premiere über 430 Aufführungen in Folge, was es in der Wiener Theatergeschichte vorher noch nicht gegeben hatte. Auch die Inszenierung in Berlin (1. Mai 1906) mit Gustav Matzner als Danilo und Marie Ottmann feierte mit 600 Aufführungen en suite grandiose Erfolge (
2_3_2_1-015 bis
-022). Doch der der Durchbruch zur internationalen Operette begann erst mit der Londoner Erstaufführung am 8. Juni 1907. »Die Lustige Witwe« löste eine der größten Theaterepidemien der Geschichte aus, sie wurde zu echter Massenkultur (aus dieser Zeit stammen auch die meisten Postkarten in dieser Rubrik). Es gab eine »Lustige Witwe«-Mode, vor allem der große Hut der lustigen Witwe wird vermarktet (
2_3_2_1-014). Auch die prächtigen Balkantrachten werden gern präsentiert (
2_3_2_1-019 u. a.).
(Friederike Ramm)
Literatur: Stefan Frey: »Was sagt ihr zu diesem Erfolg«. Franz Lehár und die Unterhaltungsmusik des 20. Jahrhunderts. Frankfurt a. M. und Leipzig 1999.