Beschreibung
Der 1870 in Breslau geborene deutsche Maler, Grafiker, Illustrator und Schriftsteller
Hans Baluschek gilt als einer der wichtigsten Vertreter des deutschen kritischen Realismus. Den Schwerpunkt seines künstlerischen Schaffens bildete die kritisch-engagierte Darstellung der von sozialen Spannungen geprägten Arbeits- und Lebenswelt der Menschen in den industrialisierten Vorstädten und Randgebieten. Die Hauptstadt Berlin war das Zentrum seiner Szenen, Stadtansichten und sozialen Gemälde. Hier waren vor allem die Deklassierten, die Proletarier, Lumpensammler, Alkoholiker, bettelnde Kinder, Dirnen und Invaliden beliebte Sujets des Malers. Daneben thematisierte er in seinen Darstellungen vielfach die fragwürdigen Vergnügungen, die doppelte Moral und das versteckte Elend des kleinbürgerlichen Milieus. Ab etwa 1904 avancierte er zu einem Pionier auf dem Gebiet der Industriedarstellungen und zum führenden »Eisenbahnmaler«.
Seine Studien begannen an der Hochschule der Künste Berlin (HBK) bei Josef Scheurenberg (1846-1907) und Woldemar Friedrich (1846-1910). Seit 1895 übte er die Tätigkeit als freischaffender Künstler aus. 1897 wurde er Mitglied im Verein Berliner Künstler und gab im gleichen Jahr sein Debüt auf der Großen Berliner Kunstausstellung. In den ersten Jahren sicherte er sich sein Einkommen vor allem durch gebrauchsgraphische Arbeiten wie beispielsweise Buchumschläge und Exlibris für verschiedene Berliner Verlage sowie Zeichnungen für Zeitschriften wie »Das Narrenschiff« oder der nobleren Kunstzeitschrift »Pan«. Hierbei lehnte er sich stilistisch an den gerade in die Blütezeit gekommenen Jugendstil an. Dessen stilisierende und typisierende Eigenschaften prägten Baluscheks zeichnerische und malerische Ausdruckskraft nachhaltig.
Die großen Bildzyklen des russischen Realisten Wassili Werestschagin (1842-1904) waren in den Anfangsjahren eine weitere wichtige Einflussquelle. Bedeutende Vorbilder für seine inhaltlichen und formalen Experimente fand Baluschek gleichfalls in den Vertretern des literarischen Naturalismus um Arno Holz (1863-1929), Johannes Schlaf (1862-1941), Gerhard Hauptmann (1862-1946) sowie den Dichtern des Friedrichhagener Kreises. Baluschek verfestigte seine Position innerhalb der künstlerischen Avantgarde Berlin um die Jahrhundertwende und arbeitete erfolgreich und öffentlichkeitswirksam. Er gehörte 1898 neben Walter Leistikow (1865-1908), Max Liebermann (1847-1935), Otto Heinrich Engel (1866-1949) u.a. zu den Gründungsmitgliedern der Berliner Secession, jener Gruppe von Künstlern, die sich gegen die starre offizielle Kunstauffassung der Wilheminischen Ära wandte.
Den Ersten Weltkrieg erlebte der Künstler ab 1916 vermutlich als Kriegsfreiwilliger an der Westfront, später als Landsturmmann im Osten. Die anfängliche Kriegseuphorie und der vaterländische Patriotismus Baluscheks verflogen schnell nach seinen eigenen Erfahrungen in den Schützengräben Frankreichs. Auch seine Bilder zeigten nach diesen Erlebnissen in aller Deutlichkeit die brutale Zerstörung, das unmenschliche Grauen und den würdelosen Tod im Krieg. 1920 schloss sich der Maler der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands an und engagierte sich energisch in der kultur- und bildungspolitischen Arbeit der Partei. Er schuf eine Vielzahl von Illustrationen für sozialdemokratische Publikationen, wie den Satireblättern »Der wahre Jacob« oder »Lachen links«, ließ sich aber nie für reine Agitationszwecke instrumentalisieren.
Baluscheks breites und differenziertes Oeuvre lässt sich keinesfalls nur als trocken-einfallslose, mit photographischem Pinsel ausgeführte Sachlichkeit bezeichnen – ein Vorwurf, dem er zu Lebzeiten oft ausgesetzt war. Das Gegenteil bezeugen beispielsweise die phantasievollen Märchenillustrationen u.a. zu Gerdt von Bassewitz´ Erzählung »Peterchens Mondfahrt« sowie die Illustrationen zu den »Volksliedern in Bilder«, die als Serie von 31 Wohlfahrtskarten für Kriegsopfer ab 1917 im Hugo Bermühler Verlag in Berlin erschienen ist. In dieser Serie überwiegen vor allem Darstellungen zu Volksliedern der Romantik, zu Studenten- und Trink- sowie Soldatenliedern. Zusätzlich finden sich auch einige wenige Kinderlieder wieder wie »
Hopp! Hopp! Hopp! Pferdchen lauf Galopp« (
2_1_2_2-008) oder »
Ein Männlein steht im Walde« (
2_1_2_2-005).
In den Illustrationen zu den Volksliedern des 19. Jahrhunderts zeigt Baluschek zum einen eine stimmungs- und farbenfrohe Palette, die sich ganz dem romantisch-lyrischen Textinhalt anzupassen scheint (vgl.
2_1_2_2-000mo,
2_1_2_2-004). Typische romantische Topoi wie das Wandern werden dabei von Baluschek konventionell dargestellt. Der Wanderer auf der Erhöhung schwenkt seinen Hut zum Abschied und grüßt ein letztes Mal sein tiefer gelegenes und vom sich hinschlängelnden Fluss durchzogenes Heimattal (
2_1_2_2-012). Im Falle des Volksliedes »
In einem kühlen Grunde« (
2_1_2_2-009) dagegen korrespondiert die im Text von
Joseph von Eichendorff (1788-1857) zum Ausdruck gebrachte Hoffnungslosigkeit mit der unterkühlten im rot-silbrigen Ton gehaltenen Ausführung der Landschaft der Karte. Auch in der Illustration zu »
Am Brunnen vor dem Tore« (
2_1_2_2-000m) entscheidet sich Baluschek für eine auffallend dunkle Farbwahl, die eine düstere und Unheil verkündende Atmosphäre vermittelt und ganz im Kontrast zu den vielzähligen existierenden Illustrationen des gleichen Liedes steht (vgl.
3_3-024,
3_3-042 oder
2_1_1-005a).
Baluschek hält sich in seinen Arbeiten eng an die vorliegenden Textvorlagen der Lieder. Der in der Regel als Realist bezeichnete Maler weicht dabei auffällig von einer rein naturalistischen Malweise ab und zeigt stilistische Rückgriffe auf den Impressionismus bzw. auf post-impressionistische Tendenzen des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Der weitgehende Verzicht auf Konturlinien sowie die Ausführung von Licht- und Schatten hinsichtlich der Farbwahl in der Illustration von »
Jetzt gang i ans Brünnele« (
2_1_2_2-010) lassen Elemente des Impressionismus anklingen, während die Illustration zu »
Sah ein Knab ein Röslein stehn« (
2_1_2_2-014) in der Verwendung der Bildmotive sowie der Komplementärkontraste in der Landschaft auf der linken Bildhälfte an Maler wie Vincent van Gogh (1853-1890) erinnert.
Die Postkarten zu den Studenten- und Trinkliedern offenbaren einen überwiegend kritisch-satirischen Blick Baluscheks. Die Studenten werden mit ihrem typischen äußerlich sichtbaren Kennzeichen der Studentenmütze in den Farben ihrer jeweiligen Verbindung (Couleur) dargestellt (vgl. auch Rubrik Burschen
2.2.3.2). Baluschek bildet studentisches Bummel- (
2_1_2_2-016p) und Wanderleben (
2_1_2_2-000mn), Trinkgebaren (
2_1_2_2-008m) sowie Burschenrecht (
2_1_2_2-017a) mit einem ironischem Augenzwinkern ab. Das Trinkverhalten wird in der Kartenserie zudem ausgiebig porträtiert. In der Illustration zum Lied »
Im kühlen Keller« (
2_1_2_2-009m) schenkt der bereits äußerlich sichtlich durch den Alkohol gezeichnete Wirt dem ehrenwerten Besucher reichlich Wein ein. Baluschek malt die dargestellten Personen gelegentlich in typisierender Weise, lässt aber im Allgemeinen ihre markanten und individuellen Züge zum Vorschein kommen. Die Personen sind im Gegensatz zu den Kartenillustrationen Paul Heys (vgl.
2_1_1) keine ausschließliche Staffage inmitten lieblicher Landschaften sondern vielfach Träger des Bild- und Textinhaltes.
Der Rausch des Alkohols spiegelt sich in der schrillen Farbigkeit der Illustration zum Trinklied »
Bier her! Bier her!« (
2_1_2_2-001) wieder. Die zwangsläufige Folge des maßlosen Alkoholkonsums demonstriert die Karte zum Lied »
Einst hat mir mein Leibarzt geboten« (
2_1_2_2-005f). Hier begegnen sich Tod und Trinker bereits im Zwiegespräch. Eine Reihe skurril-übermütiger Einfälle zeigt das Bild zu »
Ich bin der Doktor Eisenbart« (
2_1_2_2-008f). In diesem Fall ist der grotesk überzogene Liedtext adäquat ins Malerische übersetzt.
Baluschek bebildert zudem eine Reihe von Soldatenliedern wie etwa »
Morgenrot, Morgenrot, leuchtest mir zum frühen Tod« (
2_1_2_2-011). Im Gegensatz zum martialischen und kriegsbegeisterten Text vom
Ernst Moritz Arndt (1769-1860) in »O du Deutschland, du musst marschieren« (
2_1_2_2-013) lässt Baluschek die Frauen am Wegesrand den in die Schlacht ziehenden Männern nicht euphorisch zujubeln, sondern zeigt sie in trauriger und weinender Geste, wohlwissend, dass ein Großteil ihrer Männer nicht lebend zurückkehren wird. Die Postkarte zu »
Steh' ich im Feld, mein ist die Welt« (
2_1_2_2-017) präsentiert das Dasein als Grenadier wiederum textkonform als entspanntes Leben, im dem der Soldat keine Not erleidet und alle Freuden genießen kann. Auffällig ist, dass Baluschek die meisten Illustrationen der Soldatenlieder in die Zeit der Entstehung der jeweiligen Lieder oder in die Zeit der besungenen Geschichte des Textes (
2_1_2_2-016) versetzt. Ausnahme ist hier das 1839 in der Phase des Vormärz entstandene Lied »
Wenn die Soldaten durch die Stadt marschieren« (
2_1_2_2-019). In der Illustration wird die Szene mit Soldaten aus der Zeit des Ersten Weltkriegs dargestellt, zu erkennen an den feldgrauen Pickelhauben und der darauf aufgeführten olivgrünen Regimentsnummer. Dieses Bild ist das einzige der Serie mit sichtbarem aktuellem Bezug zum zu dieser Zeit im Gang befindlichen Ersten Weltkrieg.
Ende der Zwanziger Jahre wurde Baluschek Bürgerdeputierter im Berliner Bezirk Schöneberg und ein behördlich angestellter Sachverständiger in der Deputation für Kunst- und Bildungswesen der Stadt Berlin. Zu seinem 60. Geburtstag im Jahre 1930 ehrte ihn der Bezirk Schöneberg und stellte ihm eine Atelierwohnung zur Verfügung. Die Nationalsozialisten enthoben Baluschek 1933 von allen offiziellen Ämtern und erteilten ihm als »entarteten Künster« keine Arbeitserlaubnis mehr. Er starb 1935 in Berlin.
Baluschek sicherte sich als wichtiger kritischer Individualist seinen Platz in der Kunstgeschichte. Er reflektierte selbst:
„Was bin ich nun eigentlich, und was will ich? Zunächst bin ich kein Anhänger eines »ismus«. Mir ist die malende Masse, die an demselben Karren zieht und schiebt, ein Greuel. Für mich ist Kunst der Künstler, der Eigenmensch. Kunst, die in sich geschlossene persönliche Welt eines Menschen, der diese mit individuellen Mitteln mitteilen soll, kann und muß.“ (BALUSCHEK, Hans: Der Kampf um meine Kunst. Zuerst in: Die Gartenlaube, Jg. 68, 1920, S. 448f. Zit. n.: BRÖHAN, Margrit: Hans Baluschek. 1870-1935. Maler-Zeichner-Illustrator. Berlin: Bröhan-Museum, 2002, S. 134f.)
(Edin Mujkanović)
Literatur:
BRÖHAN, Karl H.: Berliner Secessionisten. Hans Baluschek, Karl Hagemeister, Willy Jaeckel und andere. Berlin: Bröhan-Museum, 1973.
BRÖHAN, Margrit: Hans Baluschek. 1870-1935. Maler-Zeichner-Illustrator. Berlin: Bröhan-Museum, 2002.
MEISSNER, Günter: Hans Baluschek. Dresden: VEB Verlag der Kunst, 1985.