Ausstellung: Beethoven-Ansichten

Prof. Dr. Sabine Giesbrecht

Der hundertjährige Geburtstag Ludwig van Beethovens wurde 1870 im Vorfeld der Gründung des Deutschen Kaiserreiches großartig gefeiert und liefert mit seinen Festreden und Berichten bereits einen Vorgeschmack auf die identitätsstiftende Rolle des Komponisten für das Selbstverständnis der Nation.1 Diese schlägt sich nicht zuletzt im neuen, seit 1905 massenhaft verbreiteten Medium der Bildpostkarte nieder, das mit aussagekräftigen Abbildungen das besondere Verhältnis der Deutschen zu Beethoven dokumentiert, um das es in der vorliegenden Ausstellung geht.

Die Bilder aus den Jahren bis etwa 1927, dem Jahr der Wiener Zentenarfeier, lassen in ihrer Gesamtheit aktuelle Sichtweisen der Zeit auf den Komponisten und ein Erscheinungsbild erkennen, das imagebildend geworden ist. Typisch für die visuelle Rezeption ist die Tendenz, zu popularisieren und Person und Werk nach Möglichkeit dem Verständnis und den Lebensvorstellungen breiter Käuferkreise nahezubringen. Regionale Schwerpunkte sind die Geburtsstadt Bonn, aber auch Wien und die österreichische Wahlheimat des Komponisten spielen eine gewisse Rolle.

Im wilhelminischen Deutschland nehmen Musikkarten mit Beethoven-Darstellungen erkennbar eine Sonderstellung ein. Kein anderer Komponist ist visuell mit so überwältigender, fast religiöser Verehrung bedacht worden, mit keinem anderen Komponisten konnte sich die Nation so identifizieren wie mit diesem „Titanen“. Neu gedruckt werden auch Karten mit Abbildungen älterer Bildvorlagen, die bereits zu Lebzeiten Beethovens oder später als Produkt persönlicher Erinnerungen entstanden sind. Die Aufnahme in das Medium der kaiserzeitlichen Bildpostkarte zeugt einerseits von einem ausgeprägten Bewusstsein für Tradition, signalisiert anderseits aber auch ein aktuelles Interesse an bestimmten Darstellungsformen und -inhalten, zu deren Verdeutlichung einige der beigefügten Bildkommentare und Analysen beitragen.

Es versteht sich von selbst, dass Bildpostkarten als massenhaft verbreitetes Mittel der Kommunikation keine professionelle Sicht auf den Komponisten und sein Werk bieten und kaum intellektuelle Einsichten verbreiten, sondern vor allem emotionale Wirkungen erzeugen. Das Wunder des Schöpfungsaktes und die unbegreifliche Fülle überwältigender Musik verleiten zu manchmal gewagten visuellen Fantasien über die himmlische Herkunft und den Ewigkeitswert Beethovenscher Musik. Es sind nicht zuletzt solche Bilder, die zur Popularisierung des Komponisten beitragen, einem Genie, zu dem deutsche Bürger stolz und dankbar aufschauen.

Seine menschlichen Eigenheiten sind akzeptiert und fügen sich nahtlos in das stürmische wilhelminische Weltbild ein. Erkennbar ist eine ausgeprägte, oft sperrige Männlichkeit sowie Mut, Kraft und Durchhaltevermögen. Auch die vielfach dargestellte, geradezu radikale Arbeitsdisziplin Beethovens passt zur Mentalität einer Nation im wirtschaflichen Aufbruch. Immer wieder stellt man ihn fleißig schreibend dar, ebenso aber auch als Auserwählten und Berufenen, als einsamen Schöpfer von Werken, die sich jeglicher Darstellung entziehen und nur in ihrer Wirkung auf Zuhörer wiedergegeben werden können. Aus den meisten Bildern spricht uneingeschränkter Respekt vor der Größe und den Leistungen dieses Mannes, besonders aber die Anerkennung der gemeinschaftsbildenden Kraft seiner Musik. Die Idee der Humanität im Sinne eines brüderlichen Miteinanders hat die Zeitgenossen offensichtlich besonders beeindruckt. In der wilhelminischen Ära, die von divergierenden politischen und sozialen Interessen geprägt ist, hat ein solches Erscheinungsbild außerordentliche Zustimmung gefunden, wie diese Ausstellung zeigen soll.

Die Sichtweise im Einzelnen verdeutlichen die folgenden Bildergruppen:

1. Porträts 2. Verehrung 3. Masken 4. Weltflucht 5. Bei der Arbeit 6. Werkbilder 7. Werk und Wirkung 8. Tourismus 1. Porträ

1 Dazu Sabine Giesbrecht: Beethoven 1870. Grundlinien einer nationalistischen Klassik-Rezeption. In: Rebecca Grotjahn/Christin Heitmann: Louise Farrenc und die Klassik-Rezeption in Frankreich, Oldenburg 2006, S. 85-104.


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