Kategorien Prof. Dr. Sabine Giesbrecht ➔ 02. Lieder und ihr Umfeld ➔ 2.2 Verschiedene Regionen ➔ 2.2.2 Der Rhein ➔ 2.2.2.3 "Die Wacht am Rhein"


Beschreibung


Unter den zahlreichen Rheinliedern ist Max Schneckenburgers „Wacht am Rhein“ (2_2_2_3-002, -012) mit ihrer 1854 entstandenen Melodie von Karl Wilhelm besonders beliebt gewesen. Der 1840 geschriebene Text ruft zum Schutz des Landes an der Rheingrenze auf, der durch deutsche Truppen gewährleistet sein soll (2_2_2_3-008h,-009). Der Rhein und seine angrenzenden Regionen waren spätestens seit den Napoleonischen Kriegen Zankapfel zwischen Deutschland und Frankreich.
Die Abbildungen mit Zitaten aus dem Lied, das in der Zeit des deutschen Kaiserreiches fast den Rang einer Nationalhymne einnahm, zeigen ein breites Spektrum patriotischer Leitvorstellungen, die sich auf Feldpostkarten des Ersten Weltkrieges auch in aggressiven Parolen und Bildern niederschlagen (2_2_2_3-038, „Lieb Vaterland magst ruhig sein, wir schlagen alles kurz und klein). Die Liedzitate werden verknüpft mit der Präsentation wirkungsvoller Waffen (2_2_2_3-029, -030) und der Darstellung siegreicher deutscher Truppen (2_2_2_3-021, -031, -035).
In den Sockel des 1883 errichteten Niederwalddenkmals [vgl. Rubrik 2_2_2_4] mit der gen Westen blickenden Germania wurden fünf Textstrophen des Liedes eingemeißelt (2_2_2_3-004m,-019); daher zeigen einige Karten deutsche Soldaten in voller Montur vor dem Denkmal (2_2_2_3-005,-006, -006m, -006n, -006o) oder in Verbindung mit der offenbar vom Sockel gestiegenen Germania (2_2_2_3-003, -015a, -016).
Musterungskarten aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg bedienen sich gern des Refrains (2_2_2_3-018, -023), wobei dem Betrachter gelegentlich suggeriert wird, dass der „kleine Cohn“ für nationale Wächteraufgaben nicht geeignet ist (2_2_2_3-017).
„Lieb Vaterland magst ruhig sein“ ist als patriotisches Versprechen, fast möchte man sagen als Treue-Eid , aufgefasst und nicht nur bei Musterungskarten verwendet worden. Der Refrain und andere Liedzeilen sowie der Titel schmücken häufig auch Abbildungen mit Kindern (2_2_2_3-007, -010k, -010m, -014, -024, -025, -026, -026m, -036), wobei die Generation der Jüngsten symbolisch für eine viel versprechende Zukunft steht, um deren Gesinnung man sich offensichtlich nicht zu sorgen braucht. Auch junge Frauen stimmen in den deutschnationalen Chor ein (2_2_2_3-027).
In ihrer Gesamtheit rufen die bisher vorliegenden Bildkarten zu diesem Lied zur Wachsamkeit gegen innere und äußere Feinde und zur Stärkung der nationalen Gemeinschaft auf. So demonstrieren etwa mitmarschierende Frauen, Kinder und Familien ihre Solidarität mit den ausziehenden Truppen und zeigen ihr Einverständnis mit der Kriegsproklamation des Kaisers (2_2_2_3-013, -022).
Zu den Wächtern der Nation, welche die Zukunft der Deutschen sichern sollen, gehören außer den Soldaten die militärischen und politischen Führer des Landes, allen voran Kaiser Wilhelm II. (2_2_2_3-014am,.-011), seine Familie (2_2_2_3-032) und die gesamte Generalität (2_2_2_3-033, -040). Sie schützen, gemeinsam mit den österreichischen Verbündeten (2_2_2_3-037) das „Vaterland“. Heroen früherer Generationen sollen vermutlich an militärische Traditionen Preußens anknüpfen (2_2_2_3-039).
Die Botschaft der Bilder lautet: Integration nach innen und Abgrenzung nach außen, und zwar in alle Richtungen. Das erzählen uns neu gestaltete Wächter-Lieder (2_2_2_3-014a, Ostwacht) oder propagandistisch gefärbte Nachdichtungen, die zur Melodie der „Wacht am Rhein“ gesungen werden sollen (2_2_2_3-041, -046).
Die „Wacht am Rhein“ war das Codewort der letzten großen Ardennenschlacht im Zweiten Weltkrieg, die das Ende des „dritten“ Reiches besiegelte. Im Bomben- und Granatenhagel ist das Lied gestorben.
(Sabine Giesbrecht)

Litaratur: Sabine Giesbrecht: „Lieb' Vaterland, magst ruhig sein“. Musik und Nationalismus im deutschen Kaiserreich. In: Vom hörbaren Frieden, hg. v. Hartmut Lück u. Dieter Senghaas, Frankfurt am Main, 2005, S. 413-442.

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